Die Punks vom Plänterwald
Wie ein US-Autor aus Brooklyn der Ost-Berliner Subkultur späten Ruhm verschaffte
Du dachtest, du kennst schon alle coolen Geschichten? Dann geht es dir ja wie mir! Aber ich sehe jeden Tag ein bisschen mehr ein, dass ich vielleicht von einigen, möglicherweise von vielen, aber nicht im Ansatz von allen bunten Stories rund um die DDR, die Wende und Ost-Berlin gehört habe.
Punks am Alex, ja. In der Kirche, keine Frage. Repressionen, Nazi-Überfälle, Stasi-Unterwanderung, geschenkt. Aber Punks im Plänterwald, zu deren Mutproben es gehörte, besoffen Karussell zu fahren, um anschließend ihren Mageninhalt vor den braven Bürgerinnen und Bürgern zu entleeren? Die kannte ich nicht – und das obwohl ich in den 1980er-Jahren selbst viele Male im Plänterwald war, einem Rummel im Bezirk Treptow.
Plänterwald-Punks porträtiert
Wie ich jetzt darauf komme? Das ist wiederum eine traurige Geschichte. Denn von dem Buch „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft*“, in dem unter anderem die Punks vom Plänterwald porträtiert werden und zu Wort kommen, habe ich über einen Nachruf erfahren. Einen Nachruf über den Autor des Buches, Tim Mohr.
US-Auor Tim Mohr. (Foto: Thomas Hoeffgen/Penguin)
Der in Brooklyn geborene US-Amerikaner, der DDR-Punks sogar als Vorbild für die Social-Justice-Bewegungen in den USA sah, ist Anfang April 2025 im Alter von 55 Jahren gestorben. Nach kurzer schwerer Krankheit, wie es in der Süddeutschen Zeitung heißt.
Und vor Mohr, der den Plänterwald-Punks ein Denkmal errichtete und auch sonst ein ziemlich cooler Typ gewesen sein muss, möchte ich hiermit meinen Hut ziehen. Wusstest du, dass der (bzw. die) wahrscheinlich allererste Punk von Ost-Berlin ein Mädchen aus Köpenick war?
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Mohr hat die DDR sogar noch in ihren letzten Atemzügen live miterlebt. 1990, als Gaststudent an der Humboldt-Universität, lebte der US-amerikanische Germanist in einem Studentenheim in Berlin-Lichtenberg, beim Tierpark Friedrichsfelde. Die Wohnungen der internationalen Studentinnen und Studenten waren dort in einem Plattenbau-Hochhaus untergebracht.
Hip-Hop, Techno, Fascho-Skins
Trust me, ich habe dort in der Nähe meine ersten sechs Lebensjahre verbracht und später, als ich schon in Berlin-Marzahn lebte, dort öfter meine Oma besucht. In den wilden Wendejahren bin ich dort – auf betonierten Treppen und Wegen – sowohl mit Techno und Hip-Hop sowie Skateboard-Fahren in Berührung gekommen als auch mit Neonazis und Fascho-Skins.
Und so verwundert es mich auch nicht, wenn Mohr schrieb, dass für ihn dort nachts das Brüllen der Raubtiere und das Grölen der Skinheads oft nur schwer zu unterscheiden war. Wie später mich trieb es auch Mohr bald näher in die Stadtmitte, in Richtung der besetzten Häuser. In dieser Umgebung kam der US-Amerikaner schließlich in Kontakt zur Punk-Szene. Mohr allerdings fand, ganz anders als ich, auch eine Heimat im Techno und wurde selbst zum DJ.
Besonders cool: Mohr hat das Buch über die DDR-Punks auch in die USA gebracht, wo es 2017 als „Burning Down the Haus: Punk Rock, Revolution and the Fall of the Berlin Wall“ erschien. Der Rolling Stone wählte das Buch dann gleich zu einem der besten des Jahres.
Später Ruhm für Ost-Berliner Punk-Uradel
Statt Lesungen, so schreibt Peter Richter in der Süddeutschen Zeitung, veranstaltete Mohr wahre „Multimedia-Punkrock-Events“. Dort wurde Videomaterial aus dem Stasi-Archiv über die Punks aus dem Plänterwald gezeigt. Außerdem gaben Punk-Musikerinnen und Musiker Konzerte. Der „Ostberliner Punk-Uradel“ kam in den USA so noch zu Ruhm und Ehren.
Über die Plänterwald-Punks hätte ich aber auch ohne den Nachruf auf Mohr und dessen Werk stolpern können. So hat etwa der Spiegel vor ein paar Jahren über sie geschrieben. Titel: „Pogo unterm Riesenrad“. Während an anderen Treffpunkten der DDR-Punk-Szene die Polizei eingriff, schienen die Punks im Plänterwald geduldet.
Erinnerungen an Ost-Berliner Punk-Szene
Spiegel-Autorin Anna Mielke hat für diesen Artikel mit dem Zeitzeugen Ronald Galenza gesprochen. Dieser hat seine Erinnerungen an die Ost-Berliner Punk-Szene in einem eigenen Buch niedergeschrieben: „Wir wollen immer Artig sein. Punk, New Wave, Hiphop und Independent-Szene in der DDR von 1980 bis 1990*“.
Hier tauchten auch Mitglieder der bekanntesten Bands der Szene auf, die Leipziger Band Wutanfall oder die Erfurter Punks von Schleimkeim um Otze – „räudige Proll-Punks“, wie Galenza meint. Anders als gedacht waren die Punks aber auch im Plänterwald überwacht worden. Nach 1983, als die Stasi die Zügel bei den Punks anzog und viele verhaftet, zur Armee eingezogen oder in den Westen abgeschoben wurden, wurde es auch im Plänterwald ruhig um die Szene.
Der Treffpunkt verlor an Bedeutung. Als die SED-Führung nach 1986 ihre Kulturpolitik lockerte, konnten Punk-Konzerte auch außerhalb der bisherigen begrenzten Orte stattfinden. Für viele Andersdenkende und Andersaussehende waren derweil bis zum Ende der DDR die Kirchen die wichtigsten Anlaufpunkte, wenn es um Musik, Kultur und Politik ging.
Wie Norbert Witte mit dem Spreepark scheiterte
Apropos Plänterwald. Der dortige Spreepark wurde 1991 verkauft und sollte in einen Freizeitpark nach westlichem Vorbild verwandelt werden. Doch das Konzept ging nicht auf. Der Park schloss 2001/02 – belastet mit Millionenschulden. Wer mehr über dieses Experiment des Schaustellers Norbert Witte (Enkel des Jahrmarktkünstlers und Hochstaplers Otto Witte) wissen möchte, sollte sich den Film „Achterbahn*“ anschauen.
Aktuell sind Teile des Parks wieder zugänglich. Das Riesenrad (die geneigten Fans kennen vielleicht die Kinderserie „Spuk unterm Riesenrad*“, die dort spielt) soll demnächst wieder in Betrieb genommen werden. Für 2026 ist die Neueröffnung des geplanten Kunst- und Kulturparks Plänterwald vorgesehen.
Zum Nachlesen und Nachschauen:
Pogo in Ost-Berlin: Bilder von Punks in der DDR, auch im Plänterwald
Informationen, Bild- und Videomaterial zum Berliner Spreepark
Ausstellung „Punk in der Kirche. Ost-Berlin 1979-89“ (BERLIN GLOBAL)
Ja, Ostberlin hatte schon eine sehr spezielle Untergrund- und Kulturszene. Ich bin durch deinen Beitrag grad ein bisschen nostalgisch. Und wehmütig. Auch wenn ich kein Punk war und nie mit ihnen zu tun hatte, spiegelten sie doch dieses radikale unangepasst sein, was dem bodenständigen Normalbürger schon immer fehlte und immer fehlen wird. Plänterwald war ein Kult für sich. Auch ohne Punks.
Ich hab das, was vom Punk bis ins Waldviertel kam in den 80ern mitbekommen und mochte die bunten Irokesen sehr. Als Kind mochte ich ja auch die Indianer. Dass Punks so überhaupt nichts mit Indianern zu tun haben, hab ich gelernt, als ich einen ehemaligen Punk ehelichte.
Heute halte ich einen sicheren Abstand zu allem, was punkik ist. Ich lache viel zu gerne und ein Punk lacht nie.