Zu lange die alten Männer verehrt
Wo sich die provokante DDR-Musik-Legende Pankow verabschiedet und was sonst noch so los ist in Berlin und (Ost-)Deutschland
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1. Pankow: Abschied einer Musik-Legende
Wahrscheinlich kennst du die Band Pankow und ihren Sänger André Herzberg. Wenn du schon etwas älter bist, hast du vielleicht das Musikspektakel „Paule Panke“ um einen Lehrling ohne Bock gehört. Etwas, was den DDR-Oberen natürlich gar nicht gut gefallen hat.
Oder du erinnerst dich vielleicht an den Skandal, als Herzberg bei einer Fernsehübertragung in Wehrmachtsuniform auf die Bühne kam – wieder, um zu provozieren und anzuecken. Da war nicht schwer vorherzusehen, dass es Verbote hageln würde.
Meine erste Begegnung mit Pankow war aber das 1988 erschienene mittlerweile legendäre Lied „Langeweile“ mit den für mich damals unvorstellbar krass erscheinenden Textzeilen:
Das selbe Land zu lange geseh'n
Die selbe Sprache zu lange gehört
Zu lange gewartet, zu lange gehofft
Zu lange die alten Männer verehrt(Aus „Langeweile“ von Pankow)
Was für eine starke letzte Zeile in einem Song, der von vorn bis hinten die Stimmung vieler junger und älterer Menschen in den Endzügen der DDR trifft. Noch heute läuft es mir kalt den Rücken hinunter, wenn ich an das Lied und das Land denke.
Bleierne Schwere über allem
Wo eine bleierne Schwere über allem liegt, wo man nichts mehr mit sich anzufangen weiß, wo es einfach keinen Ausweg gibt – als zu reden, sich zu besaufen. Aber auch das wird ja irgendwann langweilig.
Und wo jeder Mensch weiß, wer mit den „alten Männern“ gemeint ist, die zu lange verehrt wurden.
Wie haben es solche Zeilen durch die Zensur geschafft? Wie konnte ein solcher Song herauskommen – auch wenn er dann nicht im Radio gespielt werden durfte?
Jetzt ist Pankow (1981 gegründet) bald Geschichte. Mit der Abschiedstour „Bis zuletzt“ verabschiedet sich die Band ab 2025 von der Musikbühne, heißt es im Ankündigungstext.
Die Band Pankow. (Foto: Pankow)
Im Juli 2025 finden die letzten 5 Konzerte der Tour statt, in Brandenburg, Berlin und Sachsen. Am besten, du sicherst dir schon jetzt die Karten. Könnte voll werden.
09.07.2025 Oderaue (Theater am Rand)
10.07.2025 Neuruppin (Kulturhaus)
11.07.2025 Leipzig (Parkbühne GeyserHaus)
12.07.2025 Berlin (Freilichtbühne Weißensee)
13.07.2025 Dresden (Tante JU Open-Air)
Einen Konzertbericht vom Pankow-Konzert in Pankow (Kesselhaus, 6. April 2025) gibt es in der Taz.
Ach ja. Einen beinahe brandneuen Song (November 2024) gibt es auch. „Wir haben geliebt und uns gehasst“, heißt es in „Bis zuletzt“. Ist musikalisch nicht so mein Fall. Wie findest du’s? Das Video ist aber cool! Mit vielen historischen Aufnahmen.
Wenn du dir eines der Konzerte anschauen gehst, hinterlasse gern einen Kommentar, warum und was du dir davon erwartest. Gern auch anschließend eine Konzertkritik schicken :)
2. Schlingensief im Museum
Um eine deutsche Legende geht es auch in einer Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie, die ich euch ans Herz legen will: den 2010 leider viel zu früh verstorbenen Künstler, Autor und Regisseur Christoph Schlingensief.
1999 hatte Schlingensief vor der New Yorker Freiheitsstatue sinnbildlich das Ende Deutschlands inszeniert. Das Datum für die Aktion: 9. November – und damit ein Verweis auf die Pogromnacht 1938 und den Fall der Berliner Mauer 1989.
Zudem erinnerte die rituelle Performance an den Kniefall Willy Brandts in Warschau und Schlingensief warf eine Urne mit der symbolischen Asche Deutschlands in den Hudson River. Zudem noch einen Koffer mit 99 deutschen Alltagsgegenständen.
All das und sicher noch mehr gibt es seit Anfang Mai 2025 in der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Dort hat die Schlingensief-Ausstellung („Christoph Schlingensief. Deutschlandsuche ’99“) einen eigenen Raum im Rahmen der aktuellen Sammlungspräsentation „Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft. Sammlung der Nationalgalerie 1945 – 2000“ bekommen.
Hier gibt es alle Informationen und Tickets.
Ausländer raus – Schlingensief in Wien
Und ein Link zu Wien: Schlingensief hatte in der österreichischen Bundeshauptstadt im Jahr 2000 für Furore gesorgt. Im Rahmen der Wiener Festwochen ließ er einen Wohncontainer mit 12 Asylanten direkt vor die Oper in der Stadtmitte stellen.
Unter dem Motto „Ausländer raus!“ konnte täglich per Zuschauerabstimmung im Internet ein Bewohner „abgeschoben“ werden.
Der Wiener Regisseur und Drehbuchautor Paul Poet hat darüber 2002 einen Film veröffentlicht: „Ausländer raus – Schlingensiefs Container“.
3. Kaulitz-Brüder auf der Theater-Bühne
Die Mitglieder der Band Tokio Hotel, allen voran die Zwillinge Tom und Bill Kaulitz, gelten als die berühmtesten Söhne der Stadt. Jetzt mal abgesehen vielleicht von Otto von Guericke, Georg Philipp Telemann, Reinhart Lakomy und diversen Handballern und Fußballern oder Künstlern und Politikern.
Nicht unerwähnt bleiben sollen natürlich auch die Töchter der Stadt wie Brigitte Reimann, Katharina Heise oder Annett Gröschner. Ich glaube, du weißt, was ich meine.
Worum es hier aber gehen soll: Das Theater Magdeburg plant unter dem Titel „Schrei, so laut du kannst“ eine Hommage an die vier Musiker der Band Tokio Hotel. Ab 20. September 2025 (Uraufführung) soll das Stück dann zu sehen sein (Regie: Juli Mahid Carly).
Allerdings wird Tokio Hotel nicht namentlich genannt. Aber die Band ist natürlich die Inspiration für das Stück, das den Aufstieg einer Schülerband (Tapioka Inn) aus der sachsen-anhaltinischen Provinz zeigt. Inklusive natürlich der Schwierigkeiten und vom „Mut, den es braucht, um man selbst zu sein“.
„Zwischen quietschenden Schulbusbremsen und dem Dauerstreit mit mehr oder weniger peinlichen Eltern träumen Georgina, Zachi sowie die Zwillinge Timmi und Änn von einem Leben jenseits der 600-Seelen-Einöde. Mit ihrem Bandprojekt Tapioka Inn spielen sie tapfer auf jedem Dorffest – bis ein Produzent:innenteam auf sie aufmerksam wird.“
(Aus der Ankündigung für „Schrei, so laut du kannst“ im Theater Magdeburg)
Meine Verbindung zu Tokio Hotel und zu den Schwierigkeiten des Aufwachsens in einer zum Teil feindlich gesinnten Umgebung habe ich in diesem Artikel geschildert.
Gern reinlesen:
Warum mein Guilty Pleasure mir Bauchschmerzen bereitet
Ich habe es getan. Ich habe mir den Podcast „Kaulitz Hills – Senf aus Hollywood“ angehört. Ja, genau, den Podcast von Bill und Tom Kaulitz – Tokio Hotel, Monsun, Haare, Eyeliner, Heidi Klum, Magdeburg, Kalifornien – you name it.
Was sind deine Erzählungen zum Aufwachsen oder deine Verbindung und Meinung zu Tokio Hotel? Schreibe es gern in die Kommentare!
An dieser Stelle ist der heutige Newsletter auch schon zu Ende. Ich freue mich, wenn du auch nächste Woche wieder am Start bist. Dazu musst du nichts tun als nächsten Samstag wieder in dein E-Mail-Postfach zu schauen und die Post zu öffnen.
Was ich dir aber auch empfehle: Es gibt über den Newsletter hinaus 1 oder 2 Mal pro Woche einen spannenden Artikel über ein bestimmtes Thema, das mit DDR oder (Ost-)Deutschland zu tun hat. Hin und wieder teile ich in der Rubrik „Die Wende und ich“ eine persönliche Geschichte.
Für die kommende Woche habe ich zum Beispiel einen Artikel über Westpakete geplant. Darin erfährst du nicht nur, worum es sich dabei handelt, sondern auch, dass genauso Pakete von Ost nach West geschickt wurden. Natürlich fehlt auch ein Blick in meine Vergangenheit nicht. Habe ich Westpakete bekommen – oder nicht? Und was war (nicht) drin? Das alles und mehr in der nächsten Woche hier in der D.R.O.B.
Dieser Artikel aus der vergangenen Woche ist auch noch lesenswert.
Ich wär‘ so gerne Millionär
Heute wird es ein wenig persönlich. Aber keine Sorge, die Schlussfolgerungen sind wissenschaftlich fundiert. Und irgendwie hat es ja immer etwas Befreiendes, wenn es plötzlich eine Erklärung für etwas gibt, was einen schon fast ein ganzes Leben quält.