Wir müssen reden!
Die neueste Ausgabe deines Newsletters für Austausch, News und Tipps rund um Musik, Kultur und ein ganz klein bisschen Politik.
Herzlich willkommen auf dem Gebiet der Demokratischen Republik Ost Berlin (D.R.O.B.) und zu einer neuen Ausgabe des D.R.O.B. Newsletters.
Es gibt Dinge, über die muss man einfach reden. Auch wenn man glaubt, dass schon alles gesagt ist. Denn in diesem Fall ist auch nach 35 Jahren noch nicht alles gesagt. Und so, wie es aussieht, wird auch nach 40 oder 50 Jahren noch nicht alles gesagt sein – aber sicher einiges mehr.
Osten, Ostdeutschland, Neufünfland
Du kannst dir sicher schon denken, worum es in dieser Newsletter-Ausgabe geht. Und ja: Es geht um den Osten, Ostdeutschland, Neufünfland, die Zone, Dunkeldeutschland und … (hier eine Zuschreibung deiner Wahl einsetzen).
Dort, wo heute das Stadtschloss steht, war früher der Palast der Republik. (Foto: D.R.O.B.)
Ich weiß, viele Menschen, nicht zuletzt aus dem Westteil der Bundesrepublik und Berlins, können es nicht mehr hören. Und ja, es ist viel geschehen, aber es ist eben vieles auch noch nicht geschehen, damit Ost und West endlich zusammenwachsen können, ohne gegenseitige Schuldzuschreibungen, ohne gegenseitige Abwertungen, ohne gegenseitige Beschimpfungen.
Aber, auch das zeigen die folgenden Beispiele: Es ist nicht immer alles schwarz und weiß – ganz im Gegenteil. Und die schönsten Geschichten schreiben sowieso immer Literatur und Musik. Das gilt auch, wenn es um die Wendezeit geht. Tauchen wir also ab. Gute Unterhaltung.
1. Westdeutsche Klischees dominieren Ost-Berichte?
Den Leipziger Literaturprofessor Dirk Oschmann kennst du vielleicht schon. Oschmann hat vor zwei Jahren einen Bestseller geschrieben, der zugleich heftige Kritik und enorme Zustimmung ausgelöst hat.
Die Rede ist von „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung. Wie die Konstruktion des Ostens unsere Gesellschaft spaltet*”. Mit diesem Buch füllt Oschmann seitdem Buchhandlungen und Säle in ganz Ostdeutschland.
Eine der in dem Buch dargelegten erschreckenden Erkenntnisse mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung: „Der Anteil Ostdeutscher in Spitzenpositionen in Wissenschaft, Verwaltung, Jurisprudenz, Medien und Wirtschaft beläuft sich selbst Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung auf durchschnittlich 1,7 Prozent. Für den Autor „ein erschreckender Beleg für die Ungleichheit und systematische Benachteiligung der Ostdeutschen“.
Diffamieren oder ignorieren?
Und Oschmann legt nach, etwa wenn es um die bundesdeutschen Medien geht. Denn die würden mit „westdeutscher Brille“ berichten, wie es bei mdr.de heißt. „Es gibt zwei Strategien, die sich herausgebildet haben im Blick auf den Osten. Nämlich zum einen, den Osten zu diffamieren, das ist die beliebteste Strategie. Und die zweite ist das Ignorieren“, so Oschmann bei den Mitteldeutschen Medientagen Anfang April.
Und was sind die ostdeutschen Klischees in den überregionalen Medien mit überwiegendem Verlagssitz in Westdeutschland? „Stasi, Doping, Mauer – oder irgendwas mit Nazis“, so Oschmann. Und einen Punkt hat er damit schon.
Oder, was meinst du?
Oschmann hat schon eine sehr spezielle Sicht auf das Ost-West-Verhältnis. Und nicht vergessen sollten wir, dass er mit diesen Thesen sehr viel Aufmerksamkeit generiert – was wiederum natürlich der Aufarbeitung und der weiteren Annäherung dienlich sein kann.
Das folgende Thema ist in diesem Sinne auf der einen Seite aufreibend. Andererseits gibt es durchaus auch versöhnliche Momente, die sich hier offenbaren. Also zumindest meiner Meinung nach.
2. Abriss Ost: SEZ und Jahn-Sportpark futsch
Im 1981 eröffneten Sport- und Erholungszentrum (SEZ) waren sicherlich die meisten Menschen in Ost-Berlin einmal Baden, Schlittschuhlaufen, Tischtennisspielen oder Bowlen. Legendär war etwa das Wellenbad. Hier kannst du dir ein Video vom Tag der Eröffnung anschauen.
Nach der Wende ging es für den Riesenbau stetig bergab. Jetzt wird das Betonungetüm komplett abgerissen – entstehen sollen dort jetzt unter anderem Wohnungen. Ein ähnliches Schicksal droht dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Diese zu DDR-Zeiten umgestaltete Sportanlage soll aber ab 2026 in neuem Glanz erstehen – wenn Berlin bis dahin nicht das Geld ausgeht.
Das Problem für viele Beobachterinnen und Beobachter: Es sieht so aus, als würde erneut eine Art „Abriss Ost“ stattfinden. So ähnlich wie nach der Wende. Das Aushängeschild hier: Der sogenannte Palast der Republik.
Palast muss weg: Politische Motivation
Und tatsächlich sieht etwa Hanno Hochmuth vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam beim Palast-Abriss „das Politische sehr stark“ mitschwingen. Stilistische Überbleibsel des alten Systems mussten dran glauben, schreibt rbb-online.
Ein Grund liegt auch in dem von Autor Oschmann weiter oben angeprangerten Mangel an Ostdeutschen in Entscheidungspositionen. Oder, wie Architekturhistoriker Ulrich Hartung sagt: „DDR-Bauten haben kaum ,Anwälte’“.
Aber – und hier wird es wieder versöhnlicher: Mittlerweile ist die Abrisswelle abgeebbt und die sogenannte „Ost-Moderne“ werde durchaus geschätzt, so Beobachterinnen und Beobachter.
Auf der anderen Seite fielen und fallen auch Bauten aus der Nachkriegszeit in Westdeutschland und Westberlin einer offensichtlichen Ablehnung der Moderne zum Opfer. Man denke etwa an die Deutschlandhalle oder das Vergnügungsbad „Blub“.
3. DDR-/Wende-Geschichte in Bild, Buch und Ton
Wie lässt sich Geschichte besser erzählen als in Romanen, Filmen oder Musik. Und das gilt natürlich auch für DDR- und Wende-Geschichte.
Die Historikerin Anna Lux, Tochter der Neues-Forum-Sprecherin Petra Lux, und der Kulturwissenschaftler Jonas Brückner haben in ihrem Buch „Neon/Grau*“ die Popkultur im Osten Deutschlands 1989 porträtiert.
Ein Gespräch mit Lux zu dem Thema kannst du im Podcast Kompressor von Deutschlandfunk Kultur nachhören.
In dem Buch geht es demnach um „Ost-Berliner Gangster-Rap, Jugendromane aus der Provinz und Underground-Filme über Freiheit und Verluste, über Zugehörigkeit und Ausgrenzung, über Jugendgewalt und Geschlechterverhältnisse“.
Zu Wort kommen etwa die Rapper Romano aus Berlin-Köpenick und Trettmann aus Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) über ihre Songs. Auch die Berliner Musikerin Katharina Kollmann („Nichtseattle“) hat ein paar Worte beigesteuert. Lesen, lohnt sich!
Woah, ein wilder Ritt, oder? Was meinst du? Ich möchte dir hier noch einen passenden Musik-Tipp geben. Nicht ganz uneigennützig, aber jedenfalls ein Hörgenuss.
„Harte Zeiten“ (EP) von Parc de Triomphe
„Harte Zeiten“ ist der Titel der ersten EP der Wiener New-New-Wave-Band Parc de Triomphe und der gleichnamige Song das Titelstück.
Fünf Songs haben es auf Harte Zeiten geschafft. In ihnen nehmen Jörn Brien und Florian Knabenschuh die Hörerinnen und Hörer mit auf eine melancholisch-düstere, aber zugleich versöhnliche musikalische Reise in die Vergangenheit.
In den Texten geht es um die Traumata, die Wendezeit und Baseballschläger-Jahre hinterlassen haben. Die Musik treibt und unterhält.
Der Band gelingt es, mit Harte Zeiten eine Brücke ins Heute zu schlagen und Emotionen auch bei jungen Menschen zu wecken.
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Was meinst du? Ist Ostdeutschland auch nach 35 Jahren nur „Stasi, Doping, Mauer – oder irgendwas mit Nazis“?