Wir hatten ja nüscht im Osten ... nich‘ ma Spaß [Textauszug]
Mit Berliner Schnauze und Humor schreibt Mikis Wesensbitter, wie es im Jahr des Mauerfalls wirklich war, wo die besten Punkrock-Konzerte stattfanden und was Freiheit und Freundschaft bedeuten
1989 beginnt für Mikis wie jedes neue Jahr: mit einem Mordskater. Natürlich kann er nicht ahnen, dass sich dieses Jahr um ihn herum alles ändern wird, denn er interessiert sich nicht für Politik, sondern eher für Bier, Underground-Musik und natürlich Weiber. Er dealt auch mal gern mit Pornobildern, schreibt fleißig Eingabebriefe, verliebt sich und ärgert die Stasi.
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Sonnabend 11.02.1989
Billy Bragg im Palast. Torsten hat im Intershop ein paar Schultheiss-Büchsen geholt und wir haben Westler-Image. Was total albern ist, weil die Hälfte der Leute uns ja sowieso kennt. Mir schmeckt das Zeug auch gar nicht. Das Konzert ist okay, aber vor drei Jahren fand ich ihn besser. Kathi und ihre Freundin Anne kommen später dazu und nach dem Konzert gehen wir ins Nante-Eck.
Ich verknall mich total in Anne. Die ist sooo schön. Wir gehen zu ihr, liegen im Bett und hören Latin Quarter.
„Verlieb dich nicht in mich“, sagt sie.
„Zu spät“, sag ich.
„Ich warte auf die Ausreisepapiere. Kann sein, dass ich bald weg bin.“
„Aber jetzt bist du ja noch da, oder?“
„Ja, heute Nacht auf jeden Fall noch.“
Sonntag 12.02.
Ich will nicht aufstehen, ich will keine Realität und keinen grauen Ostberliner-Sonntag. Anne offensichtlich auch nicht. Also bleiben wir einfach im Bett.
Später laufen wir Hand in Hand die Schönhauser Allee entlang und sehen der trüben Sonne beim Untergehen zu.
„Lass uns in den Schusterjungen gehen. Da war ich früher immer mit meinen Eltern“, sagt sie.
Ich würde mit ihr überall hingehen. Sie bestellt Schnitzel, ich Blutwurst. Später bringt sie mich zur Straßenbahnhaltestelle und wir küssen uns lange im Nieselregen.
Sonntag 19.02.
Mit Anne ins Babylon. Da läuft heute der Film „Winter Ade“. Irgendwann erwischen wir uns dabei, wie wir beide heulen. Sie richtig, ich heimlich. Dieses Land ist doch einfach die totale Krätze. Im Bett halten wir uns die ganze Nacht fest.
Sonnabend 25.02.
Mit Anne einkaufen und zusammen gekocht. Unser erster gemeinsamer Gulasch. Weil wir die Hände nicht voneinander lassen können, brennt der volle Kanne an. Macht nix, gehen wir eben in den Schusterjungen Gulasch essen. Und danach wieder ins Bett.
[Nach dem Buch-Cover geht es weiter!]
Buch-Cover „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich‘ ma Spaß!“. (Bild: Mikis Wesensbitter/Jana Farley, Subkultur)
Sonntag 26.02.
„Du, wir müssen aufpassen. Ich kann mich nicht richtig auf eine Beziehung einlassen. Jeder Tag kann mein letzter hier im Osten sein. Und dann sitz ich irgendwo im Westen und will zurück, weil ich dich vermisse.“
Ich versteh schon, was sie meint, aber ich hab keine Lösung. Also sag ich erst mal nix.
„Lass uns eine Erwachsenen-Beziehung haben. Nicht so oft sehen, keine Besitzansprüche, keine Zukunftspläne, keine Treueschwüre. Geht das?“, fragt sie.
„Keine Ahnung, gehen tut alles. Aber wie das funktioniert, weiß ich nicht.“
Sonntag 05.03.
Fahren zu Annes Bruder nach Altglienicke. Der hat da ein eigenes Haus stehen. Er freut sich, uns zu sehen. Früher war er Bühnenbildner, aber irgendwann haben sie ihn aussortiert. Seitdem ist er freischaffend, beschreibt mit dem Lötkolben Stullenbrettchen und verdient das Zehnfache. Er zeigt mir seine neue Kollektion. AC/DC und CC Catch sind seine Bestseller, aber er hat auch die Klassiker, wie Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils, im Programm.
Er holt einen Kasten Radeberger aus dem Keller und wir saufen uns richtig rund.
„Hast du auch nen Ausreiseantrag laufen?“, frag ich ihn.
„Bin ich bekloppt? Was soll ich denn da drüben. Hier weiß ich, wie ich mein Geld verdiene, wie die Frauen schmecken und wem ich nicht trauen kann. Im Westen weiß ich das alles nicht.“
„Aber du könntest endlich deine Kunst ausstellen. Und berühmt werden,“ sagt Anne.
„Ach Anne, du olle Romantikerin, als wenn das im Leben so einfach wäre.“
Wir schlafen bei ihm im Gästezimmer, sind eh viel zu breit, um den Weg nach Hause zu finden.
Mittwoch 08.03.
Frauentag-Freidrehtag. Ich hab für Lager-Mutti eine Blume gemalt, wie sich das gehört. Sie muss darüber lachen. Danach zähl ich Nägel.
Mittags gibt es im Pausenraum Eierlikör und Sekt bei den Damen. Ich halt mich lieber im Schatten und schau, dass ich schon vor Schichtschluss verschwinde, bevor mich eine der angetüdelten Tanten in einen Nebenraum zieht und mit mir alleine Frauentag feiern will.
Sonnabend 11.03.
Mit Torsten an der Kaufhalle getroffen und ordentlich eingekauft. Heute ist wieder unser Eingabe-Tag.
Lieber Genosse Kurt Hager,
wenn es hierzulande endlich eine Zeitschrift geben würde, in der ordentlich Titten und Muschis zu sehen sind, dann wären die DDR-Bürger viel zufriedener. Dann würde es in den Betten besser laufen und es würde auch mehr onaniert werden. Dadurch würde die Arbeitsproduktivität ansteigen. Unter Garantie! Wir wollen endlich mehr nackte Haut sehen!
Mit sozialistischem Gruß
Genosse Ulf Hoteschek
Ist mein erster Brief.
Torstens geht so:
Lieber Werner Jaronwinsky,
wann waren Sie eigentlich das letzte Mal in einer Kaufhalle? Dit jeht jar nich’. Gitterboxpaletten mit Klopapier, die Hälfte davon aufgerollt und erst das Damen-Hygiene-Zeug. Immer sind die Behelfsverpackungen von Rosa Extra und Imuna aufgerissen und die Riesenteile liegen da rum. Dit is so oll, det ick automatisch zum Schapsregal jehe, mir ne Granate hole und die dann aussaufe. Obwohl ick damit uffhören wollte. Aber ick krieg die Tampons nich’ aus meinem Kopp. Kann man den Mist nicht mal richtig verpacken? Da sauf ick och nich’ mehr so viel.
Freundschaft!
Sebastian Wildenbruch
Wir lachen uns kaputt und gehen in die zweite Runde.
Hallo Günther Mittag,
was gab‘s bei Ihnen heut zum Mittag? Bei mir gab es Nudeln mit Hackfleischsoße. War ’n bisschen ekelig, weil das Hackfleisch schon ganz grau war. Die Fleischfachverkäuferin in der Konsumkaufhalle hat aber gesagt, das ist auf jeden Fall noch gut. Jetzt muss ich ununterbrochen furzen. Sie können sich nicht vorstellen, wie das stinkt hier in der Bude. Wie damals in der Hölle von Verdun! Gut, dass heut kein Besuch kommt. Der würde glatt tot umfallen. Hoffe, Ihr Essen war besser.
Rot Front
Körner, Thomas
Werter Genosse Harry Tisch!
In meiner Abteilung gibt es einige Kollegen, die vorsätzlich gegen unsere ehrgeizigen Plan-Erfüllungziele verstoßen. Was soll ich da machen? Einer bringt immer kleine Steinchen mit und mischt die unter die Tempolinsen. Eine Kollegin wäscht sich nach dem Toilettengang nicht die Hände und die Kollegin S. trägt keine Unterhose. Ganz zu schweigen davon, dass viele ihre FDGB-Beiträge nicht pünktlich entrichten. Ich habe das Gefühl, dass der Schlendrian immer mehr um sich greift. So geht das nicht weiter!
Lothar Scherz
Mein letzter geht so:
Werter Genosse Krack!
Ich hab ja innerhalb der Monatsfrist schon mal darum gebeten, dass das Berliner Pilsner umbenannt wird. Und was ist passiert? Nichts. Typisch, für die Biertrinker muss man ja nichts tun. Die Berliner Brühe ist weiterhin ungenießbar und der Schaum nur eine Attrappe. Da schämt man sich ja, mit Bekannten und Verwandten von außerhalb in die Kneipe zu gehen. „Da schmeckt ja unser Gothaer Pils besser“, muss man sich anhören oder: „Da lob ich mir mein Magdeburger Goldquell.“ Stellen Sie sich das mal vor, Magdeburger Goldquell! Eine Schande ist das, ich bin doch nicht Hauptstädter geworden, um mich vor den Provinztrampeln zu blamieren wegen diesem schlechten Bier! So kann das nicht weitergehen.
Mit sozialistischem Gruß
Otto Müller
Wir schaffen die ganze Postladung zum Briefkasten und gehen in die Prager Hopfenstube. Heut haben wir uns mal gutes Tschechenbier verdient. Da drin ist’s rappelzappel voll, aber wir finden noch zwei Plätze. Am Nachbartisch wird’s laut und die Bauarbeiter aus der Provinz fangen an, sich zu schubsen. Aber so richtig. Is uns zu blöd, also gehen wir lieber in den Schreiner Hof.
Sonntag 12.03.
Kopfschmerzen. Bin aber trotzdem glücklich. Der Eingabentag war wieder gelungen, obwohl wir schon mal kreativer waren. Naja ist halt blöd, wenn man nie eine Antwort kriegt. Wir haben beschlossen, beim nächsten Mal richtige Adressen aus dem Telefonbuch als Absender zu nehmen, also nur von Leuten mit so Arschlochnamen wie Klaus-Jürgen Hollerbusch und Matthias Wildwartz. Oder von Idioten, die wir von früher kennen. Das macht bestimmt auch der Stasi mehr Spaß.
Dieser Text stammt aus dem Buch „Wir hatten ja nüscht im Osten ... nich‘ ma Spaß!: Die ganze Wahrheit über ‘89*“ von Mikis Wesensbitter. Wenn dir gefällt, was du hier gelesen hast, dann unterstütze den Autor doch, indem du sein Buch kaufst. Oder du holst dir Mikis‘ Roman „Die coolen Jungs stehen jetzt hinterm Tor*“, einen Coming-of-Age-Roman mit viel Fußballromantik, Freundschaft und Herz. Und die wohl authentischste literarische Reise in die letzten Jahre der DDR.
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Über den Autor
Mikis Wesensbitter ist Jahrgang 1968. Als er im Kinderwagen sitzen konnte, waren die Revolutionen in Prag, Paris und Woodstock bereits Geschichte, doch der Hauch des Aufruhrs wehte auch nach Ostberlin ... Im Kindergarten bekam er Mitsingverbot wegen seiner tiefen Stimme und in der Schule Schreibverbot wegen seiner subversiven Gedanken. Nach dem Systemwechsel organisierte er ein Jahrzehnt lang Konzerte und Partys, arbeitete als Journalist und fing an, Bücher zu schreiben. Gleich mit seinem Debüt „Wir hatten ja nüscht im Osten ...“ landete er einen Bestseller. Mikis Wesensbitter ist mit seinen Büchern immer wieder auf Lesetour.
Mehr dazu auf Mikis‘ Homepage.
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