Prost!
Wie die erste ostdeutsche Firma ein westdeutsches Unternehmen übernahm und was du daraus über den Osten lernen kannst
Die ursprünglich im März 1990 unter der Regierung Modrow gegründete „Treuhand“ sollte rund 8.500 Betriebe, später 14.600 Gesellschaften, mit über vier Millionen Beschäftigten sowie 2,4 Millionen Hektar Land, Stasi-Vermögen, NVA-Liegenschaften, Wohnungen und Apotheken-Besitz sanieren und privatisieren.
Die Bilanz, obwohl wahrscheinlich im Bereich des Möglichen gute Arbeit geleistet wurde, treibt vielen Ostdeutschen noch heute wahlweise die Tränen ins Auge oder die Wut in den Hals.
Die Zahl der Arbeitsplätze brach auf 1,5 Millionen ein. Nur 5 Prozent der privatisierten Firmen gingen an ostdeutsche Unternehmerinnen und Unternehmer.
85 Prozent der DDR-Betriebe in westdeutscher Hand
Weniger als 10 Prozent wurden von internationalen Investorinnen und Investoren übernommen. Aber 85 Prozent gingen in das Eigentum von Westdeutschen über. Ein Stachel im Fleisch vieler von Armut, Arbeitslosigkeit und Erniedrigung betroffener Ex-DDR-Bürgerinnen und Bürger nach der politischen Wende.
Wie kritische Stimmen heute anmerken, wurde dabei oft weder die Bonität der Käuferinnen und Käufer geprüft noch die Einhaltung der Verträge überwacht. Etwa, was den Erhalt von Arbeitsplätzen oder den Versuch, die Firma wirklich weiterzuführen, angeht.
Als riesiger Schnäppchenmarkt gilt die Ex-DDR zeitweise. Die Betriebe als nicht konkurrenzfähig. Die Lebensleistung der Arbeiterinnen und Arbeiter als quasi nicht gut genug für den westdeutschen/internationalen Markt.
Und so ist es auch leichter zu verstehen, dass eine Nachricht aus den frühen 2000er-Jahren bei vielen enttäuschten und weniger enttäuschten Ostdeutschen für Staunen und – leisen – Jubel gesorgt hat.
2002: Erste Ost-Firma kauft West-Konzern
Im Jahr 2002 übernahm die Rotkäppchen Sektkellerei die von der kanadischen Seagram-Gruppe gehaltene Sekt-Marke Mumm. Damit kaufte das erste größere ostdeutsche Unternehmen einen westdeutschen Konzern auf.
Und das als Unternehmen, dessen Produkte in der DDR kaum jemals auf den Tisch kamen, weil die Sektflaschen großteils in die BRD exportiert wurden.
Und das als Unternehmen, das nach der Wende, als der Absatz einbrach, das Management übernahme und die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen wurden, den Rotkäppchen-Sekt auf Märkten aus dem Bus heraus verkaufen musste.
Heldengeschichte Ost
Was für eine Heldengeschichte! Die, ich schwöre, als Kurznotiz bei einer in Ostberlin beheimateten überregionalen Zeitungsredaktion farbig markiert in der Kaffeeküche aushing. Und ja: Auch ich war stolz darauf, dass sich ein Unternehmen aus der ehemaligen DDR auf dem gesamtdeutschen Markt durchsetzen konnte.
Ähnlich geht mir das übrigens beim Fußball, I look at you: 1. FC Union Berlin und RB Leipzig. Und für Fußballfans: Dass Rotkäppchen Mumm übernommen hat, war für mich damals so ähnlich als wenn der 1. FC St. Pauli den FC Bayern München kaufen würde.
Den Osten verstehen, so funktioniert‘s
Wer das ungefähr nachvollziehen kann, hat den Osten schon ein bisschen mehr verstanden.