Erben im Osten? Deine Mudda!
Altes Geld, der Teufel und die Haufen – und warum die krassen Vermögensunterschiede zwischen Ost und West problematisch sind
In den alten Bundesländern wurde im Jahr 2022 pro Einwohnerin oder Einwohner 9-mal so viel steuerpflichtiges Vermögen vererbt oder verschenkt wie in den neuen Bundesländern. Das hat eine Auswertung von Zahlen der Statistischen Landesämter durch MDR Data ergeben.
Und das ist noch nicht alles. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass in Bundesländern wie Brandenburg oder Berlin – hierbei der Ostteil der Stadt – wohl Zugezogene aus dem Westen die Statistik aufpolieren.
Vererbt oder verschenkt: 1.424 Euro versus 65 Euro
Zur Einordnung: Im Jahr 2022 belief sich das steuerpflichtige Vermögen, das vererbt oder verschenkt wurde, in Hamburg auf 1.424 Euro – pro dort lebender Person. Am anderen Ende der Skala lag Sachsen-Anhalt mit 65 Euro.
Spannend ist auch, dass sich die Unterschiede zwischen Ost und West bei großen Erbschaften sogar merklich auf die Landeshaushalte auswirken. In Bayern kamen 2022 rund 3,3 Milliarden Euro an Erbschafts- oder Schenkungssteuern hinzu – fast 5 Prozent des Landeshaushalts des Freistaats. Sachsen-Anhalt kam hier nur auf 26,4 Millionen Euro oder 0,2 Prozent des Landeshaushalts.
Erben in West- bzw. Ostdeutschland. (Bild: dehaasbe/Pixabay)
Wohlgemerkt: Es geht in dieser Auflistung nur um große Vermögen, für deren Vererbung oder Schenkung eine Steuer anfällt. Ein Freibetrag von 400.000 Euro gilt etwa für Erbe oder Schenkung an das eigene Kind. Ausnahmen von der Steuerpflicht gibt es auch für Familienunternehmen, in denen Arbeitsplätze erhalten werden sollen, wie es bei mdr.de heißt.
Altes Geld überdauert vor allem in Westdeutschland
Würden die Finanzämter alle Erbschaften und Steuern erfassen – unabhängig von der Höhe –, würden die Unterschiede etwas weniger krass ausfallen. Eines der Probleme ist, dass das Vermögen oft von Generation zu Generation wandert. Das sogenannte Alte Geld überdauert überwiegend in Familien aus Westdeutschland.
Und das wird auch noch über eine längere Zeit so bleiben. Denn, wie Julia Jirmann, Expertin für Erbschaften beim Netzwerk Steuergerechtigkeit, dem MDR sagte, trage das deutsche Steuersystem nicht dazu bei, dass Vermögen dorthin gingen, wo tatsächlich Leistung erbracht werde.
Egal, wie man zu Themen wie DDR versus BRD, Ostdeutschland und die Diskussion um Unterschiede, die es noch nach 35 Jahren gibt, steht: Hier sind die ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürger tatsächlich mit unfairen Bedingungen in den Kapitalismus gestartet.
Was man nicht hat, kann man nicht weitergeben
Denn in der DDR ließ sich nur schwer Privatvermögen in großem Umfang aufbauen. Und bis heute heißt es: „Was man nicht hat, kann man nicht weitergeben“, wie Jirmann betont.
Ich persönlich will da gar keine Neiddebatte aufmachen, auch wenn ich keine Wohnung, kein Haus, Felder, Wälder, Aktienpakete oder einen Betrieb erben werde. Das werden viele Menschen in Westdeutschland auch nicht.
Es geht hier aber auch um ein strukturelles Problem – etwa für innovative Firmen in Ostdeutschland, die eine gute Geschäftsidee, aber kein Kapital haben. „Historisch gewachsene Kapitalstrukturen“ sorgen dafür, dass es in Hamburg leichter ist als etwa in Görlitz an einen Business Angel zu gelangen, der eben mal 50.000 Euro in die Hand nehmen kann, wie der in Sachsen geborene Unternehmer Eric Weber gegenüber Spiegel Online ausführt.
Startup-Gründung: Strukturelle Nachteile im Osten
Weber zufolge dürfte es von diesen Frühinvestorinnen und -investoren „allein in München mehr geben als in ganz Mitteldeutschland“. Auch wenn einige aktuelle Fälle Hoffnung machen, werden dem Unternehmer zufolge noch Jahrzehnte vergehen, bis es viele Investorinnen und Investoren nach Ostdeutschland zieht. „Die strukturellen Nachteile bei der Vermögensverteilung lassen sich ja nicht wegdiskutieren“, so Weber.
Was mir an dem Startup-Unterstützer Weber gut gefällt, ist seine positive Einstellung. Von den „immer gleichen Diskussionen über das DDR-Erbe oder die Konstruktionsfehler der Deutschen Einheit“ will er am liebsten nichts mehr hören. Stattdessen sollte man, so Weber, „jetzt anpacken und versuchen, das Beste aus der Situation zu machen und Neues entstehen lassen“.
Stiftungen stärken Zivilgesellschaft
Ähnliches gilt ja auch für die Zivilgesellschaft, etwa die Stärkung politischer Bildung oder demokratischen Engagements. Für den Aufbau entsprechender Organisationen wird auch und vor allem Geld benötigt. Eine gute Quelle sind Stiftungen. Aber auch hier ist der Unterschied zwischen Ost und West frappierend. Nur gut 7 Prozent der deutschen Stiftungen haben ihren Sitz in Ostdeutschland.
Im Jahr 2018 etwa wurden laut stiftungen.org in Ostdeutschland (ohne Berlin) gerade einmal 62 Stiftungen gegründet. Im Westen waren es 463. Aber auch hier könnte man sagen: Immerhin! Denn in den vier Jahren zwischen 1990 und 1994 waren es in Ostdeutschland gerade einmal 93 Neugründungen von Stiftungen.
Und es gibt Bewegung, etwa mit der Initiative „Zukunftswege Ost“. Die hat sich vorgenommen, „die demokratische Zivilgesellschaft in Ostdeutschland durch privates Kapital und Kooperationsnetzwerke“ zu stärken. 780.000 Euro sind bisher an Mikroprojekte – auch und vor allem für Jugendliche – ausgeschüttet worden.
Spannend zu dem komplexen Thema finde ich das Interview mit dem Rechercheur und Politologen Andreas Bornefeld, der Daten zu den reichsten Familien in Deutschland sammelt, im Podcast Im Gespräch von Deutschlandfunk Kultur.
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Ich wär‘ so gerne Millionär
Heute wird es ein wenig persönlich. Aber keine Sorge, die Schlussfolgerungen sind wissenschaftlich fundiert. Und irgendwie hat es ja immer etwas Befreiendes, wenn es plötzlich eine Erklärung für etwas gibt, was einen schon fast ein ganzes Leben quält.
Toller Post. Bemerkenswert, dass man immer „Neid“ aboperieren muss in dem Zusammenhang, oder? Neid ist zwischenmenschlich vielleicht nicht nobel, kann aber politisch konstruktiv sein. Vielleicht ist der Ruf zur „Vorsicht vor der Neiddebatte“ auch immer irgendwie eine Geizdebatte.