„Am Fenster“ von City: Wohin fließen die Einnahmen aus dem Ost-Rock-Hit?
Die Platte verkaufte sich 10 Millionen Mal – und die Band verdiente angeblich nur 1.000 DDR-Mark daran
Wer in der DDR geboren oder mit in der DDR geborenen Eltern in Ostdeutschland aufgewachsen ist oder nicht die Ohren verschlossen hat und verschließt, wenn es um Ost-Rock geht – der und die kennt ganz sicher den Song „Am Fenster“ der Ost-Berliner Band City.
Die Jury des auch in Berlin populären Brandenburger Senders Radio Eins kürte das Lied zum besten Ost-Song*. Für die Hörerinnen und Hörer des Radio-Eins-Bruders Fritz ist „Am Fenster“ der populärste Popsong des 20. Jahrhunderts. Und die Zuschauerinnen und Zuschauer des ZDF wählten das City-Lied auf Platz 13 der Jahrhundert-Hits.
Für die 1972 gegründete Band City war der Erfolg der 1977 veröffentlichten Single die Fahrkarte in den Westen – also zu lukrativen Auftritten in Westdeutschland. Und selbst in Griechenland war das Lied so populär, dass City dort eine der ersten Goldenen Schallplatten erhielt, die es für ausländische Künstlerinnen und Künstler gab.
„Am Fenster“: 10 Millionen Mal verkauft
10 Millionen Mal soll sich der Song, der zunächst wegen seiner Länge von über 7 Minuten kein Radio-Airplay erhielt, bisher verkauft haben. Wie Sänger Toni Krahl aber in einem kurzen Ost-Rock-Special im heute Journal bei ZDF (ab 26:00) verriet, soll die Band selbst nur gut 1.000 DDR-Mark für das gleichnamige Album erhalten haben.
Schlagzeug. (Symbolbild: Pexels/Pixabay)
Das Geld, so Krahl, habe die Band in der Kantine durchgebracht. Aber, kein allzu großes Mitleid, mit den zahlreichen Auftritten in West und Ost sowie weiteren populären Singles und Alben dürfte City sich eine gute Rücklage für die Rocker-Rente erspielt haben. Wenn sie das Geld nicht anderweitig ausgegeben/verzockt haben.
Aber wer hat denn jetzt das schöne Geld aus dem „Am Fenster“-Erfolg bekommen? Inwieweit die DDR-Plattenfirma Amiga und die nationalen und internationalen Rechtverwertungsgesellschaften mitgeschnitten haben, weiß ich nicht. Was aber bekannt ist: Der Freistaat Sachsen hat über viele Jahre zehntausende Euro verdient.
Und das geht so.
Der Text des von City komponierten Liedes stammt von der Leipziger Schriftstellerin Hildegard Maria Rauchfuß. In ihrem 1970 erschienenen Gedichtband „Versuch es mit der kleinen Liebe“ findet sich auch das Gedicht „Am Fenster“. Das 141-Seiten-Büchlein kann man sich noch in verschiedenen Bibliotheken ausleihen. Ich habe aber keine Möglichkeit gefunden, es zu kaufen – auch nicht antiquarisch.
Starkes Gedicht, starkes Lied
Daher kann ich nur davon ausgehen, dass der Text des City-Liedes tatsächlich dem Gedicht entspricht. Wer es nicht kennt, lässt sich die erste Strophe des Rauchfuß-Gedichts und des City-Songs am besten einmal gut auf der Zunge zergehen. Das ist schon stark!
Einmal wissen dieses bleibt für immer
Ist nicht Rausch, der schon die Nacht verklagt
Ist nicht Farbenschmelz noch Kerzenschimmer
Von dem Grau des Morgens längst verjagt
Damit du dir vorstellen kannst, wovon ich hier rede, höre dir doch mal eine Live-Version von 1978 an. Wenn du es nachspielen willst, spielst du einfach ungefähr 1.000 Mal die Akkord Gm und F auf der Gitarre hintereinander – und eine coole Geige brauchst du natürlich auch.
Aber ich schweife ab. Das Geld. Oder wie Helga Hahnemann singt: „Wo ist das Geld bloß geblieben?“ Und da wird es tatsächlich interessant. Sogar ein professioneller Ermittler spielt eine Rolle. Und Erben aus Westdeutschland :)
Alles halb so wild, um ehrlich zu sein. Die 1918 in Breslau geborene Dichterin Hildegard Maria Rauchfuß starb im Jahr 2000 in Leipzig. Zunächst schien es so, dass sie keine Erbinnen und Erben hat. Daher fiel das Erbe zwei Jahre nach ihrem Tod an den Freistaat Sachsen.
10.000 Euro pro Jahr – aber nicht für City
Pro Jahr sollen bis zu 10.000 Euro aus den „Am Fenster“-Einnahmen an die Landeskasse geflossen sein. Dann die plötzliche Wendung. Denn ein Erbenermittler hatte im Jahr 2022 einen Erben aufgespürt. Insgesamt soll es fünf Erbinnen und Erben geben, die in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein leben.
Sachsen musste daher im Frühjahr 2024 insgesamt 144.000 Euro an die Nachkommen der Dichterin ausschütten, wie unter anderem der Berliner Kurier berichtet.
Den dichterischen Nachlass von Rauchfuß hat die Band City übrigens nach dem Tod der Dichterin aufgekauft und der Stadt Leipzig zur Nutzung übergeben. Diese Geschichte und mehr erzählt City-Sänger Toni Krahl in seiner Autobiographie „Rocklegenden*“.